NACHHALTIGKEIT
Die Transformation zu einer nachhaltigen Gastronomie ist aufwändig
und bedeutet eine hohe Investition an Geld und Ressourcen. Sobald
erfolgt kann sich der Gast aber das Ergebnis gar nicht leisten. Oder?
D
„Sowohl die Fleischessenden
(schlechtes Gewissen) als auch die
Veganen (Ausgrenzung) haben es satt,
in eine Schublade gesteckt zu werden.“
24 STUNDEN GASTLICHKEIT 3/2022 19
Foto: Mockup Graphics on Unsplash
ie Herausforderungen, die
eine Umstellung zu nachhal-tigem
Wirtschaften bedeutet,
sind nicht von der Hand zu
weisen. Wenn also nachhalti-ge
Gastronomie kein Kinderspiel ist, sollten
wir ansehen, welche Maßnahmen die größ-te
Wirkung entfalten und ob bzw. wie sie
profitabel umzusetzen sind.
Was sind unsere drei größten und
zugleich
profitablen Nachhaltigkeitshebel?
Betrachten wir die großen Themen Klima,
Ernährungssicherheit und Kreislaufwirt-schaft,
landen wir bei vegan, bio und regio-nal.
Auf den ersten Blick können zumindest
die beiden ersten Hebel als wahre Umsatz-
Killer erscheinen. Sind sie das?
Hebel Nr. 1: Vegan
In Bezug auf das Klima spielt sich branchen-übergreifend
etwa 80 Prozent des CO2-eq-
Fußabdrucks in den Lieferketten ab. In der
Gastronomie ist dies, was auf den Teller
kommt. Unsere Ernährung macht ein Drit-tel
der globalen Treibhausgasemissionen
aus. Knapp drei Viertel davon sind durch
tierische Produkte verursacht. Durch eine
Ernährungsumstellung ließe sich die nötige
Zeit gewinnen, damit erneuerbare Energi-en,
Bäume pflanzen und technische Inno-vationen,
CO2 zu binden, ihre Wirkung ent-falten
können. Nebenbei entledigt man sich
der Massentierhaltung (97 Prozent unseres
Fleisches) und gesellschaftlichen Phänome-nen
wie Fettleibigkeit und Diabetes.
Mögliche Gefahren für Ihren Profit: Sie
verlieren Gäste, die Ihre Transformation
nicht mitgehen. Ihr neues, bewusstes Pub-likum
mit potenziell größerem Frauenan-teil
konsumiert weniger Alkohol und Ihre
Marge bricht weg. Die frische Zubereitung
pflanzenbasierter Speisen ist aufwändig.
Schlüssel für eine profitable Umsetzung:
Geschmack. Im Detail: Bringen Sie nicht
(nur) die üblichen Verdächtigen wie Bur-ger
auf Ihre Karte, sondern entwickeln Sie
Wow-Speisen. Die pflanzenbasierte Küche
ist international, vollwertig, üppig und viel-fältig.
Lassen Sie sich in Ihrer Speisekarten-entwicklung
inspirieren! Wenn Sie auf Con-venience
verzichten, sinkt Ihr Wareneinsatz.
Optimieren Sie Zubereitungsprozesse und
schaffen Sie Synergien zwischen Speisen. Die
Nachfrage nach pflanzenbasierten Angebo-ten
ist da, sie muss nur auf attraktive Weise
bedient werden. Beim aktuellen Personal-mangel
und einer veganen Kochausbildung
in Kinderschuhen denken Sie frei, z. B. an
Quereinsteiger, die privat begeistert die vega-ne
Küche leben. Und ein letzter Tipp: Sowohl
die Fleischessenden (schlechtes Gewissen)
als auch die Veganen (Ausgrenzung) haben
es satt, in eine Schublade gesteckt zu werden.
Hebel Nr. 2: Bio
Mittlerweile sind die Vorteile von Bio wis-senschaftlich
belegt (Thünen Report 65):
Der Ökolandbau sorgt durch Gewässer-schutz,
bessere Bodenfruchtbarkeit, Bio-diversität,
Klimaschutz, Resilienz und
Ressourceneffizienz dafür, dass wir uns
langfristig ernähren können. Darüber hin-aus
ist ein frisches Bio-Produkt besser für
die Gesundheit als ein verarbeitetes, kon-ventionelles
Produkt.
Mögliche Gefahren für Ihren Profit: Bio
ist teurer, insbesondere bei tierischen Pro-dukten,
und Ihre Gäste können oder wollen
nicht mehr für Ihre Speisen zahlen.
Schlüssel für eine profitable Umsetzung:
Der Preisunterschied ist im pflanzenbasier-ten
Bereich minimal, sodass er – wenn Sie
Hebel Nr. 1 umlegen – für Sie keine Rolle
spielt. Darüber hinaus gibt es erfolgreiche
Praxisbeispiele, die zeigen, wie eine Um-stellung
auf Bio ohne Mehrkosten möglich
ist. In Kopenhagen wurde der Anteil der
Bio-Speisen in Restaurants öffentlicher
Einrichtungen innerhalb weniger Jahre
von 50 auf über 90 Prozent gesteigert. Fri-sche,
saisonale Zutaten und eine deutliche
Reduktion der tierischen Produkte ist hier
der Schlüssel. Sie müssen ja nicht im ersten
Schritt ganz pflanzenbasiert gehen, drehen
Sie die Rollen auf dem Teller um und ma-chen
Fleisch zur Beilage. Damit einherge-hend
können Sie die Portionsgrößen von
Fleisch reduzieren. Oder bieten Sie pflan-zenbasierte
Gerichte mit Bio-Fleisch als
optionales
Add-on – gut bepreist. Und noch
ein Tipp: Gehen Sie in Ihrem Storytelling
weniger auf Umweltaspekte
ein, sondern
betonen Sie, dass Sie Wert auf die Gesund-heit
Ihrer Gäste legen.
Balázs Tarsoly
bringt 14 Jahre Erfahrung in der
Markenentwicklung im Bereich
der Systemgastronomie mit. Er
ist Gründer und Geschäftsführer
der auf Food und Nachhaltigkeit
spezialisierten Kreativ-Agentur
Branding Cuisine. Mit dieser ist er
Veranstalter des WeltverbEsserer-
Wettbewerbs für nachhaltige Food
und Gastro-Konzepte und Autor des
Buches „CO2lution – Gemeinsam.
Klima wandeln. Jetzt.“
Was den 3. Hebel „Regional“ ausmacht,
lesen Sie auf
www.gastroinfoportal.de/tarsoly-regional
Seien Sie frei!
Nachhaltige Gastronomie ist eine Investition
in unsere Zukunft. Wir sind laut Jean Paul
Sartre verurteilt, frei zu sein – aber eben nur
insoweit, wie wir nicht anderen schaden.
Nutzen Sie Ihre Freiheit für ein nachhaltiges
Angebot. Denn weder wird Ihr Gast von al-lein
die eigene Ernährung in dem Maße und
in der Geschwindigkeit ändern, wie dies im
Hinblick auf den Klimawandel erforderlich
wäre. Noch handelt die Politik entschieden,
um die Nachfrage in eine umwelt- und kli-mafreundliche
Richtung zu steuern. Also
sind Sie gefragt.
/tarsoly-regional