
FLUCH ODER SEGEN?
Fotos: Archiv, privat
HYGIENE MEINUNG 59
Martin Wolf Ralf Angermaier Guido Wolf
GUIDO WOLF, LEITER DER HOCHSCHULGASTRONOMIE, STUDENTENWERK GIESSEN, GIESSEN:
Herr Wolf, welche Erinnerungen haben Sie an Ihre ersten Begegnun-gen
mit dem HACCP-Konzept?
Ich habe meine Kochlehre von 1986 bis 1989 in einem traditionellen
Haus im Schwarzwald, dem Romantik Hotel Spielweg im Münstertal,
absolviert. In dieser Zeit wurde – genau wie heute auch – sehr auf Sau-berkeit
und Personalhygiene geachtet, es hieß nur nicht HACCP, son-dern
war der Anspruch eines jeden guten Gastronomen. Der eigentliche
Unterschied zu heute liegt darin, dass es inzwischen eine Dokumenta-tionspflicht
gibt, die Transparenz und Nachweisbarkeit gewährleistet.
Neueinsteiger in unserem Beruf erhalten so ein Werkzeug, das aus
meiner Sicht selbstverständliche Verhaltensweisen gut beschreibt.
Ist das HACCP-Konzept für Sie im Alltag Fluch oder Segen?
Wir arbeiten sehr erfolgreich mit Neueinsteigern im Bereich Gas-
tronomie und legen im Studentenwerk Gießen auch großen Wert auf
Ausbildung – unter anderem für Kollegen aus diesen Bereichen ist das
HACCP-System ein Segen. Es ermöglicht uns, klare Regeln vorzu-geben,
um so die hohe Qualität in unseren Betriebsabläufen jederzeit
und personenunabhängig zu gewährleisten. Die Regeln selbst sind durch
die schriftliche Dokumentation vorgegeben, ihre Einhaltung auch durch
die Aufbewahrung jederzeit sowohl intern als auch extern nachvollzieh-
und nachweisbar.
Glauben Sie, die Arbeit in gastronomischen Betrieben würde auch
ohne das HACCP-Konzept gut gelingen?
Ohne ein funktionierendes HACCP-Konzept, das täglich in der Praxis
angewendet und von den Vorgesetzten genauso gelebt wird, wie von
jedem einzelnen Teammitglied, wäre mir als Leitungs- und Führungs-
person in Bezug auf die Sicherheit der Gäste „Angst und Bange“. So
stehe ich aber mit gutem Gefühl zu 100 Prozent für die von uns ange-botenen
Produkte. Dies ist auch ein Erfolg von HACCP, das von der
Anlieferung bis zur Entsorgung alle Schritte regelt und mir eine Form
von Sicherheit gibt, die es früher so nicht gab.
Wie würde die Arbeit in GV-Küchen heute aussehen, gäbe es das
HACCP-Konzept nicht?
Diese Frage erfordert einen Blick in die Glaskugel und lässt sich damit
nur durch Spekulation beantworten. Wenn ich aber an die hohe Anzahl
an gastronomischen Einrichtungen denke, in denen ungelernte Kräfte
mit rohen Eiern, rohem Fisch und Fleisch, mit geringen technischen
Möglichkeiten wie Vakuumierer oder Kühlung/Kühlhäusern arbeiten,
dort keine HACCP-Regeln verpflichtend wären und die Einhaltung
damit auch keiner überprüfen würde, würde ich nur noch zuhause essen
– und zwar das, was ich selbst angebaut hätte, da ich bei den Lieferanten
auch keine Kühlkette nachvollziehen könnte. Gut, etwas weit ausgeholt,
aber wer weiß schon wie es wäre, wenn …
Wann war ein HACCP-Konzept in Ihrer beruflichen Karriere schon
einmal ganz wichtig?
Das HACCP-Konzept hat mich in meinem Berufsleben in einem Fall
bei einem ehemaligen Arbeitgeber – auch für Außenstehende ganz
offensichtlich – unterstützt, als ein Gast uns beim Gesundheitsamt
angezeigt hatte. Aufgrund der Rückstellproben und der lückenlosen
Dokumentation von Temperatur, Reinigung, Kerntemperatur und Aus-gabetemperatur
wurden wir vollständig von den Vorwürfen entlastet.
Vielen Dank für das Gespräch!
GVMANAGER 10/19