
Leberkäse ist der
neue Schokokuss
Etwas mehr Ehrlichkeit und auch etwas
mehr Gelassenheit auf allen Seiten
täte
not. Beispielsweise wenn Eltern
in einem angesagten Leipziger Stadtteil die
Erzieher in moralische Haftung nehmen,
damit ihr Kind ja nicht dieses und jenes isst,
wenn vegane Eltern Wut-Mails mit der An-drohung
von Dienstaufsichtsbeschwerden
schicken, weil sie erfahren haben, dass ihr
Kind heimlich Fleisch gegessen hat – ein-fach,
weil es ihm geschmeckt hat. Klischee-
Malerei und Milieu-Bashing? Nein, einfach
die Realität dessen, was mir Bekannte und
Freunde erzählen und was ich als Vater ei-nes
15-jährigen Sohnes als Realität wahr-nehme.
Wer ist verantwortlich?
Die Erziehung der Kinder wird immer
mehr den Pädagogen überlassen, klagte
jüngst erst die baden-württembergische
Kultusministerin Susanne Eisenmann. Da
hat sie Recht. Das gilt auch für die Ernäh-rungserziehung.
Die, so ist mein Eindruck,
wird immer häufiger an die Schule abge-
geben und an den Mensabetreiber und
den Hausmeister delegiert, der sich mit
LKW (Leberkäswecken) und Donuts noch
etwas hinzuverdient. War deshalb früher
alles besser?
Bedingt – außer, dass es Datschwecken
(aufgeschnittenes Weißbrötchen mit
zerquetschtem
„Mohrenkopf“, heute
politisch
korrekt „Schokokuss“ genannt)
gab und ich mit meinem besten Freund die
Stulle getauscht habe.
Ich finde es gut, wenn mein Sohn mir die
Stoffwechselfunktion
erklären kann, seinen
BMI kennt und eine Fitness-App nutzt.
Dass er in der Familie Essen nicht nur als
Nahrungsaufnahme
wahrgenommen hat.
Dass meine Frau sehr gut und gerne kocht.
Dass wir für ihn nie aus der Kinderkarte
bestellt haben.
Eher als Glück betrachte ich, dass er keine
Süßigkeiten und Pommes
mag und die
Gummibärchen immer
an mich weiterge-geben
hat. Dass er jedes Superfood aus-probiert
hat. Dass er mit seiner Oma noch
Brot im Backhaus gebacken hat und mit ihr
immer
wieder Maultaschen macht.
Mensa-Essen hat er von Klasse 1 bis Klasse 6
im Klassenverbund und mit klaren Regeln
erlebt. Das, und die sehr überzeugende
Darstellung des Rektors beim Informationstag,
dass es ihm und den Lehrern in
der Mensa auch schmecke, haben auch
mich überzeugt – oder zumindest nicht
beunruhigt. Erst als mein Sohn mir von
Fischfilet mit Rotkraut berichtet hat, habe
ich Zweifel an meiner Wahrnehmung
bekommen.
Geändert hat sich nichts.
Lahmacun und Currywurst
Er hat auch in einer Mensa gegessen,
die zu klein war, kaum zu belüften
und in welcher der Mensabetrei-ber
vor allem an Schulfesten zu
Hochform aufgelaufen ist – wenn
es galt, die Eltern zu verköstigen.
Übrigens: Die längste Warteschlange gab’s,
wenn Lahmacun auf dem Speiseplan stand.
Nun, in dem Betriebsrestaurant, in dem ich
lange gegessen habe, war die Schlange bei
Currywurst mit Pommes am längsten.
Mein Sohn weiß, wie Hühnerfrikassee, das
oft auf dem Speiseplan stand, schmecken
kann und hat ab der achten Klasse als Akt
der pubertären Selbstbestimmung den
Besuch der Mensa verweigert. Es macht
natürlich mehr Spaß, mit der Clique im
Food-Court in den Königsbau-
Passagen
einzufallen, die beste Schüler-Pizza und
Noodle-Box entlang der U-Bahn-Linien zu
entdecken oder im Hüftengold Weißwürste
mit Brez‘n zu bestellen – und dennoch ei-nen
sehr guten BMI zu haben. Mit dem
Mensabudget ist so ein Angebot auf Dauer
nicht machbar. Aber gutes und abwechs-lungsreiches
Essen darf auch etwas kosten
– gerne auch in der Mensa. Volker Simon
Volker Simon (49) ist ausgebildeter Hotelfachmann
mit Küchenerfahrung, kein Kostverächter
und PR-Berater von Unternehmen in der
Foodservice-Branche.
Die Ernährungserziehung der Kinder wird vermehrt an die
Schule delegiert. War früher alles besser? Volker Simon zieht
ein Resümee rund um Glücks- und Unglücksfälle in seinem
Ernährungsleben und dem seines Sohnes.
Elternsache
„Erst als mein Sohn mir von Fischfilet mit
Rotkraut berichtet hat, habe ich Zweifel an
meiner Wahrnehmung bekommen.“
Volker Simon
Fotos: privat, © PeJo/Fotolia 3/2018 Schulverpflegung 11