
Fotos: Israelitisches Krankenhaus
Manager im Gespräch
eine Riesenumstellung. Da ich kein Diätkoch
bin, musste ich mich erst in die vielen Kostfor-men
einarbeiten, hinzu kam die Herausforde-rung
der ganztägigen Vollverpflegung. Nichts-destotrotz
ist auch die Care-Verpflegung nichts
anderes als eine Dienstleistung am Gast. Das
ist es, was ich auch heute meinen Mitarbeitern
nahelege: Es ist egal, wer hinter der Küchentür
wartet. Unsere Aufgabe ist es schlicht, tagtäg-lich
ein tolles Frühstück, Mittag- und Abendessen
zuzubereiten.
Damit lässt sich der Speiseplan für die einzel-nen
Patienten je nach Indikation filtern. Soll-ten
weniger als 30 % des Angebots in Frage
kommen, schaltet die Speisenerfassung auto-matisch
einen Ernährungsberater ein, der ent-sprechende
Wunschkost erstellt.
Heute haben wir fast 40-50 % weniger Be-schwerden,
30 % weniger Bio-Müll und Spei-sereste,
was zugleich Kosten spart.
Was bedeutet die Frischküche für den Waren-einsatz?
Dass sich der Wareneinsatz erhöht, ist ein klas-sischer
Denkfehler. Das muss man mit Arbeits-leistung
ausgleichen. Je mehr ich frisch mache,
desto mehr Mitarbeiter brauche ich, und um-gekehrt.
Ich hatte das Glück, dass ich alle Mit-arbeiter
behalten konnte. Ich musste nur die
Arbeitsleistung und Struktur umstellen.
Hinzu kommt: Wir reißen nicht einfach Groß-gebinde
auf, sondern produzieren punktuell
und genau – das rechnet sich. Letztes Jahr
haben wir es geschafft mit 5,47 E auszukom-men,
alle Mahlzeiten, Stationsbedarf und Ge-tränke
inklusive. Es ist wichtig hier unvorein-genommen
ranzugehen. Es gibt Kollegen, die
sagen, ich hab nur 5 E – was soll man daraus
machen? Ich sage, ich hab 5 E, lass uns mal
schauen, was man daraus machen kann!
Ihre Speisekarte ist online bereits fünf Wochen
vorher einsehbar – was bedeutet das für den
Einkauf?
Um dennoch saisonale und regionale Angebo-te
mitzunehmen, lege ich mich in der Speise-karte
nicht überall fest, sondern schreibe z. B.
„mediterranes Gemüse“. So kann ich effektiver
reagieren und kostengünstiger produzieren.
Zudem habe ich das Produktportfolio reduziert.
Beispielsweise ist die Zutat Hähnchenbrust nun
Grundlage für sehr viele, selbst zubereitete Ge-richte.
Convenience-Varianten entfallen. Statt
bei verschiedenen Metzgern, bestelle ich das
Fleisch über den Großhändler, allerdings mit
der Vorgabe, dass wir vernünftige
deutsche
Qualität bekommen.
Im Zuge dessen habe ich auch den Lieferan-tenpool
von bis zu 20 auf sieben gestrafft, da-von
drei Hauptlieferanten. Die restlichen sind
sehr spezialisiert und liefern z. B. fruktosefreie
Marmelade oder glutenfreie Artikel.
Mit den Hauptlieferanten spreche ich nun über
größere Mengen und kann anders verhandeln.
Zudem ist der Einkauf so wesentlich effizienter,
da ich Zeit spare.
Rechnet sich denn das neue Ernährungskon-zept
bereits?
Was das Image angeht, auf jeden Fall! Wir hat-ten
bereits Medienvertreter von z. B. Sat.1,
RTL, dem NDR und der Welt bei uns. Das
spricht sich schnell herum und potenziert sich
– gigantisch! Besonders freue ich mich, wenn
Welchen Stellenwert hatte Ernährung im Israe-litischen
Krankenhaus, bevor Sie kamen?
Sie hatte bereits einen hohen Stellenwert, soll-te
aber komplett neu aufgesetzt werden. Wer,
wenn nicht wir, eine Klinik mit Schwerpunkt
auf Magen-Darm-Erkrankungen, sollte sonst
mit gutem Beispiel vorangehen? Unser kauf-männischer
Direktor Marcus Jahn verfolgt das
Ziel, sich mit der Verpflegung einen guten Ruf
zu erarbeiten und von anderen Häusern ab-zugrenzen.
Genau dafür hat er mich Anfang
2014 eingestellt.
Sie haben den Frischanteil der Küche von 30 %
auf 80 % erhöht und den Convenience-Anteil
analog reduziert. Wie haben Sie dabei das
Küchenteam
mitgezogen?
Gerade langjährige Mitarbeiter konnten sich
nicht vorstellen, wie sie das bewältigen sollen.
Folglich bedeutete die Umstrukturierung viel
Überzeugungsarbeit und aktives Vorleben. Wir
haben z. B. wieder Gemüseschneiden geübt,
ergänzend aber auch eine Schneidemaschi-ne
angeschafft. Wir haben jeden einzelnen
Arbeitsablauf
angeschaut und in Frage ge-stellt;
uns in die Warenannahme gestellt und
Speisentransportwagen auf Station gefahren;
geschaut
wo es klappt und wo nicht und dann
die Prozesse Stück für Stück verändert. Wich-tig
war, nicht alles auf einmal umzukrempeln
und das Team mitzunehmen; zu kommuni-zieren,
warum wir das anders machen wollen.
Ein Grund war z. B., dass die Küche bereits
20 Jahre alt ist. Und warum sollte man inves-tieren,
wenn wir nicht besser sind als andere?
Unterstützt hat mich dabei mein 31-jähriger
Sous Chef Collin Hoger, der schon 2,5 Jahre
vor mir ins Haus kam. Er hat Spaß an Verände-rung
und saugt Neues auf wie ein Schwamm.
Haben Sie Zeitreserven geborgen, indem Sie
das Speisenangebot reduziert haben?
Das Angebot wurde nicht kleiner, aber kom-plett
neu aufgezogen. Zum einen habe ich die
freie Komponentenwahl eingeführt. Überge-ordnetes
Ziel war es, mit einem Speiseplan,
also den bis zu 12 Komponenten der drei
Menüs,
möglichst viele Sonderkostformen
abzudecken.
Daher haben wir auch die Rezep-turen
geändert. Wir verzichten auf Butter und
scharfe Gewürze wie Pfeffer und binden Sau-cen
sowie Suppen nur noch mit Maisstärke.
Wir setzen Honig als natürliches Süßungsmit-tel
ein, das zugleich entzündungshemmend
wirkt. So deckt das Standardangebot die leich-te
Vollkost ebenso ab wie laktose- und gluten-freie
Kost. 60-70 % der Patienten brauchen
nun keine ‚Extrawurst’ mehr, was ihnen ein
gutes Gefühl vermittelt.
Die Umstellung auf Komponentenwahl gab
viel Anlass zur Diskussion, da es aufwändiger
in der Speisenerfassung ist. Mit Cuvos haben
wir hier aber eine perfekte Lösung gefunden.
Sous Chef Collin Hoger (o.) hatte Spaß daran,
das Ernährungskonzept mit neu aufzusetzen. Das
Ergebnis (u.) sieht nicht nur lecker aus, sondern
ist auch in einem Kochbuch nachlesbar.
10 GVmanager 8/ 2018