Sind Lieferungen von Lebensmitteln just in time out? Zwei Praktiker aus der GV berichten von ihren Erfahrungen. (Quelle: GurZZZa – Colourbox.de)
Quelle: GurZZZa – Colourbox.de

Sind Just-in-time-Lieferungen out?

Kurze Durchlaufzeiten, niedrige Lagerkosten, weniger Platzbedarf: Jahrelang galten Lieferungen just in time als Non-Plus-Ultra und versprachen höchste Effizienz – heißt es in einer Pressemitteilung des Importunternehmens Paul M. Müller in Oberhaching bei München.

„Vor Corona ist just in time immer gut gelaufen“, bestätigt Fabian Kretschmer. Zusammen mit seinem Geschäftspartner Thomas Schneidawind leitet er das Importunternehmen, dessen Kerngeschäft der Handel mit Obst-, Gemüse- sowie Fischkonserven für den B2B-Markt ist. „Während der Pandemie haben wir gemerkt, wie instabil unsere Lieferketten teilweise sind“, wirft Fabian Kretschmer ein. Über alle Branchen hinweg kam es in den vergangenen zwei Jahren zu Verzögerungen oder Ausfällen, egal an welcher Stelle der Wertschöpfungs- und Lieferkette.

Neue Herausforderung in der Lieferkette

Kaum war die Lage etwas ruhiger – oder man hatte sich zumindest auf die äußeren Umstände eingestellt – folgt der nächste Schlag: Krieg in der Ukraine. Schlimm genug für die Menschen vor Ort, hat diese Situation Auswirkungen auf uns alle. Es fehlen Rohstoffe, Energieträger wie Gas und Öl werden knapp. Außerdem fallen schätzungsweise 100.000 Lkw-Fahrer im internationalen Warenverkehr aus (Quelle:Bundesverbandes Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung, BGL)., was sich wiederum auf die Transportkosten auswirkt, die ebenso steigen wie die Kosten für Gas, Strom, Diesel, Dosenblech, Kartonagen, Fässer, Kunststofffolien, usw.

„Unsere Branche ist in allen Bereichen, von der Herstellung über die Verpackung bis hin zum Versand, extrem energieabhängig“, sagt Fabian Kretschmer und ergänzt: „Ich kann es gut verstehen, wenn sich unsere Hersteller nun doppelt überlegen, bei einer relativ kleinen Bestellmenge die Maschinen anzuwerfen.“

Vorausschauend bestellen statt just in time

Besser wäre es seiner Ansicht nach, größere Partien vorausschauend, statt kurzfristig zu bestellen und diese einzulagern. „Ich empfehle jedem, die Mindestbestandsmenge im Lager zu überprüfen und zu erhöhen, um die Warenverfügbarkeit bei sich gewährleisten zu können“, resümiert Fabian Kretschmer.

Wir haben bei Lothar Stützle und Peter Beer, Anwender aus der Gemeinschaftsgastronomie, nachgefragt, welche Auswirkungen die aktuelle Situation auf das Bestellverhalten hat und inwieweit Lieferungen just in time out sind.

v.l.: Lothar Stützle (Die Zieglerschen) und Peter Beer (KEM) im Gespräch (Quelle: Die Zieglerschen/Katharina Stohr, Beer)
v.l.: Lothar Stützle (Die Zieglerschen) und Peter Beer (KEM) im Gespräch (Quelle: Die Zieglerschen/Katharina Stohr, Beer)

Lothar Stützle, Leiter der Neuland-Küche der Zieglerschen, Wilhelmsdorf:

Inwieweit erleben Sie aktuell – bedingt durch den Krieg in der Ukraine –, dass es in puncto Lebensmittelbeschaffung zu Engpässen kommt?

Mit Engpässen haben wir schon seit Corona zu kämpfen. Der Krieg hat dies kurzzeitig nochmals verschärft. Es scheint sich aber wieder etwas zu beruhigen: Öl und Mehl sind z. B. auch wieder in Kleingebinden (für die Stationsversorgung) verfügbar.

Hat dies einen Einfluss auf Ihr Bestellverhalten?

Unser Bestellverhalten hat sich dadurch nicht verändert. Bei kritischen Lebensmitteln haben wir schon immer eine Vordisposition. Eine Vorratshaltung in einer unserer größeren Verteilküchen mit freien Lager und Kühlflächen ist der Pandemie geschuldet, um durch viele Corona-bedingte Ausfälle von Mitarbeitenden die Speisenversorgung aufrecht erhalten zu können. Wir haben uns „Fertiggerichte“ oder Lebensmittel, die nur portioniert oder mit geringen Aufwand zu produzieren sind, ans Lager gelegt (Käsespätzle, Kaiserschmarrn, Schupfnudel-Gemüsepfanne, Apfelmus, Salate in Dosen, Spaghetti, Tomatenpulpe, etc.). Außerdem profitieren wir hier hin und wieder als Puffer bei Engpässen.

Wie glauben Sie, wird sich die Rolle von Just in time-Lieferungen durch die aktuelle Situation verändern?

Just in Time-Lieferungen gibt es schon seit Corona fast täglich. Vorplanungen, was gerade verfügbar oder nicht verfügbar ist, sind schlicht nicht möglich. Momentan sind z. B. keine Haferflocken zu bekommen. Aber bei entsprechender Flexibilität (Produkte, Lieferanten) ist noch immer ausreichend Ware zu bekommen.

Die Preisentwicklungen und somit die Auswirkungen auf den BKT ist ein weiteres, forderndes und spannendes Thema. Da wir exorbitante Preissteigerungen bei den Lebensmitteln haben wird sich der BKT Preis zwangsläufig im Laufe des Jahres erhöhen. Hierzu bin ich in engem Austausch mit unserem Controlling und den Kunden.

Danke für das Gespräch!

Peter Beer, Leitung Verpflegungsmanagement, KEM – Evang. Kliniken Essen-Mitte:

Inwieweit erleben Sie aktuell – bedingt durch den Krieg in der Ukraine –, dass es in puncto Lebensmittelbeschaffung zu Engpässen kommt?

Wir erleben tagtäglich wie sich die Beschaffung von Produkten erschwert. Lieferwege und -ketten müssen von Erzeugern neu ausgerichtet werden. Verlässliche produzierende Länder, wie die Ukraine, in denen Rohstoffe für den Weltmarkt produziert wurden, fallen weg. Bei Lebensmittelbestellungen erhalten wir vermehrt nicht die bestellten Produkte, sondern Ausweichartikel. Die Unkalkulierbarkeit unserer eingesetzten Lebensmittel durch Erzeuger und Verarbeiter seitens unserer Lieferanten aufgrund stark steigender Energiepreise (Strom, Gas, Diesel) sowie der Mangel an Dünger und Futtermittel erschweren zusätzlich die Einhaltung der vorgegebenen Budgets, da sich die Preise stets erhöhen. Auffällig dabei sind Molkereiprodukte.

Hinzu kommt noch erschwerend, das zur Sicherung der Patienten- und Mitarbeiterverpflegung Produkte kontiert werden. Als Beispiel dient das viel erwähnte Pflanzenöl und Weizenmehl. Der Mangel dieser Produkte in den Regalen des LEH spiegelt sich auch exakt bei uns wieder. Butter hat vom vergangenen Jahr bis heute eine Preissteigerung von 72,8 Prozent erfahren. Ein Ende der Preisspirale ist nicht in Sicht.

Hat dies einen Einfluss auf Ihr Bestellverhalten?

Bald täglich erreichen uns eine Vielzahl von Preiszuschlägen für die Belieferung von Waren. Lieferanten erhöhen den Stoppwert pro Lieferung und erheben gleichzeitig bei Minderabnahmen gestaffelte Zuschläge. Aus diesem Grund haben wir unser Einkaufsverhalten grundlegend geändert.

Wir nutzen unsere maximalen Lagermöglichkeiten und ziehen regionale Lieferanten im Fokus unserer Bemühungen ein. Das bedeutet, dass Liefertage zusammengefasst wurden. Insbesondere Molkereiprodukte stehen im Vordergrund einer gezielten Einkaufsstrategie. Durch unser Einkaufsvolumen sind wir in der Lage mehrere Lieferanten zur Sicherung der Lebensmittelverfügbarkeit einzubeziehen, um alle benötigten Produkte für die Produktion und somit auch zur Sicherung der Patientenverpflegung bereitzustellen. Hierbei stehen nach wie vor das Produkt und dessen Qualität im Vordergrund. Hilfreich für unsere benötigten Produkte sind bei der Warenbeschaffung die ermittelten Werte aus dem Warenwirtschaftsprogramm, diese werden zu Dispositionsmengen zusammengefasst und bereitgestellt.

Wie glauben Sie, wird sich die Rolle von Just in time-Lieferungen durch die aktuelle Situation verändern?

Ich denke, dass wir zukünftig regionaler denken und unser Einkaufsverhalten entsprechend der Infrastruktur unserer Produktionsstätte anpassen müssen. Lagerkapazitäten und -umschlag müssen in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen. Ein produktspezifisches Einkaufsverhalten hinsichtlich der Verfügbarkeit werden die Landschaft prägen. Profiteure in der heutigen Zeit werden die Unternehmen sein, die sich flexibel auf Situationen einstellen können.

Wir haben von jeher frische regionale und saisonale Produkte im Bereich Obst und Gemüse eingesetzt. Diese Produkte erhalten wir täglich von regionalen Lieferanten in einem Umkreis von 15 Kilometer. Durch diese Art der strukturierten Belieferung konnten wir den Bedarf an Just-in-time-Lieferungen durch unsere Großlieferanten enorm reduzieren.

Die Corona-Pandemie hat bereits Versorgungsengpässe durch den Wegbruch ganzer Lieferketten zu Tage gefördert. Diese wirken sich konkret bei der Beschaffung von Sachgütern aus Übersee aus. Durch den teilweisen Lockdown der Häfen konnten Waren nicht importiert und durch den Zoll abgefertigt werden. Um diesen Engpässen entgegen zu treten, erhöhen wir gerade die Lagerkapazitäten hinsichtlich von Non-Food-Artikeln. Lieferzeiten von drei Monaten sind da keine Seltenheit mehr. Fehlende Rohstoffe bei den Herstellern erschweren obendrein die Verfügbarkeit.

Der erhöhte Bedarf an Verpackungsmaterialien während der Corona-Pandemie führte schon zu gestiegenen Kosten. Die begleitende Umstellung bei der Verwendung von Einwegverpackungen zur alternativlosen Vermeidung von Verpackungsmüll im Zuge der gesetzlichen Auflagen des Verpackungsgesetzes, erschweren die Situation der Beschaffung zusätzlich. Dies hat zur Folge das Verpackungen/Hygieneartikel zur Zeit eine Teuerungsrate von über 20 Prozent und mehr erfahren.

Danke für das Gespräch!

Quelle: B&L MedienGesellschaft

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